Wie Nachhaltigkeit in Unternehmen gelingen kann – ein Erfahrungsbericht

Seit Anfang 2023 begleiten wir 12 Leipziger Diakonie-Kitas in einem Prozess für mehr Mitbestimmung. Zwei Fachtage mit 250 Mitarbeitenden und eine Reihe von Workshops später ziehen wir ein Zwischenfazit.

2022 kam die Leiterin des Fachbereichs Kita der Diakonie Leipzig, Christiane Michalski, mit der Bitte auf uns zu, einen Fachtag zum Thema Nachhaltigkeit zu organisieren: »Als Diakonie Leipzig hatten wir die Idee, eine Agentur zu beauftragen, die das Thema Nachhaltigkeit mit unseren Mitarbeitenden erarbeitet. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass dieser Prozess so intensiv wird und auch ich als Fachbereichsleitung dabei so gefragt sein würde.« Denn in unserem Verständnis von Nachhaltigkeit ist dieses Vorgehen – Personen von außen sagen, wie es funktioniert – nicht nachhaltig.

Einer der Workshops vom ersten Fachtag mit der Diakonie.

Exkurs: Das ist Nachhaltigkeit für uns

Bevor in den Erfahrungsbericht eintauchen, erklären wir kurz unser Verständnis von Nachhaltigkeit in Unternehmen:

  • Ownership: weg von starren Hierarchien und damit einhergehenden Entscheidungen von oben nach unten (top-down), hin zu agilen Strukturen, in denen das Team aushandelt, wer wofür zuständig ist. Im besten Fall übernehmen diejenigen Personen bestimmte Aufgaben, die am besten dafür geeignet oder am stärksten motiviert sind. So wird aus Pflichterfüllung ein echtes Verantwortungsgefühl. So werden Aufgaben nicht als reine Pflichterfüllung und das Befolgen von Befehlen wahrgenommen.
  • Prozessoptimierung: Unternehmen wollen stets effizienter und produktiver werden, um ihren Gewinn zu steigern – ein nachvollziehbares Prinzip, das im Kapitalismus unabdingbar ist. Ressourcen zu sparen ist profitabel und lässt sich nebenbei als ökologische Nachhaltigkeit anpreisen. Doch auch die soziale Verantwortung ist wichtig: Mitarbeitende müssen sich wohlfühlen und gesund sein, um produktiv zu arbeiten. Nachhaltigkeit ist nicht nur nice-to-have, sondern ein Management-Prinzip: Das Unternehmen nutzt Ressourcen wie Wissen und Ideen seiner Mitarbeitenden und sieht die Vielfalt der Perspektiven und Meinungen als Stärke.
  • Verankerung und Evaluation: Workshops, in denen Ideen entwickelt werden, sind super. Doch all das bringt nichts, wenn es im Arbeitsalltag verpufft. Im Gegenteil kann das sogar die Stimmung im Team verschlechtern. Nachhaltigkeit muss vom Unternehmen als dauerhafte Aufgabe verstanden und konsequent strukturell verankert werden. Dazu gehört auch, immer wieder die Fortschritte auszuwerten und zu reflektieren.
  • Beteiligung: Alle müssen sich in den Prozess einbringen können. Klar, es ist unrealistisch, dass alle zu allen Fragen ausführlich angehört werden. Doch wenn sich immer nur Führungskräfte oder dieselben (in der Regel lauten) Personen äußern, führt das zu Unzufriedenheit und Ablehnung. Hinzu kommt: Oft wissen (unserer Erfahrung nach) Führungskräfte nicht, was es bereits an Ideen und praktischen Lösungen im Haus gibt und wie die Mitarbeitenden zum Thema stehen. Deshalb braucht es Beteiligungsverfahren in verschiedenen Stufen.
  • Aufbau von Wissen: Ein schneller Input kann hilfreich sein. Doch unser Gehirn lernt am besten, wenn es Zusammenhänge selbst erschließt. Positiver Nebeneffekt: Aha-Momente machen uns glücklich, kreativ, steigern das Selbstwertgefühl und motivieren uns, aktiv zu werden. Praktisch heißt das: Wenn ich eine fertige Lösung vorgesetzt bekomme, setze ich sie halbherzig um – entwickle ich die Lösung hingegen selbst, bin ich Feuer und Flamme.

Echte Nachhaltigkeit wächst von innen

In ersten Gesprächen konnten wir vermitteln: Nachhaltigkeit funktioniert nur dann, wenn die Motivation von innen heraus entsteht und vorgelebt wird. Und: Wenn dabei alle aktiv mitgenommen werden. Christiane Michalski erinnert sich:

»Ich dachte, dass wir als Leitungen keine tragende Rolle an den Fachtagen übernehmen würden, sondern die Expert:innen von Trafo die Impulsvorträge und Workshops durchführen. Doch Trafo hat schnell deutlich gemacht, dass wir hier gefragt sind und wir als Leitungen mit unseren Teams intensiv an den Themen arbeiten müssen, nicht lediglich Trafo als externer Partner. Das hat sich im Nachhinein als großer Benefit herausgestellt.«
Christiane Michalski, Fachbereichsleiterin Kita der Diakonie Leipzig

Und so wurde der Fachtag 2023 im Haus der Stadtmission nicht von uns, sondern vom Leitungsteam der Diakonie eröffnet – mit einem Impulsvortag dazu, wie vielfältig Nachhaltigkeit ist und was das die Diakonie dahingehend langfristig anstrebt.

Eigene Potenziale entdecken

Nach einer lockeren Aktivierungsmethode haben wir die 180 Teilnehmenden – Angestellte aller zwölf Leipziger Diakonie-Kitas – in Bewegung gesetzt. Jede:r von ihnen bekam eines der „17 Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (SDG) zugelost.

Die so entstanden Gruppen hatten die Aufgabe, sich 30 Minuten mit ihrem SDG auseinanderzusetzen: Welche Schnittpunkte zum Arbeitsleben in der Kita entdecken sie? Dieser Ansatz vermittelt ein Gefühl dafür, wie tiefgreifend und ganzheitlich Nachhaltigkeit ist.

Das Ergebnis: 17 vollgeschriebene Plakate, die ganztägig den Saal geschmückt und symbolisch das kreative Potenzial der Mitarbeitenden sichtbar gemacht haben.

In der ersten halben Stunde sind diese Plakate zu den 17 SDG und ihrem Bezug zur Kita entstanden.

Zeit nehmen und klein anfangen

Danach ging es ans Eingemachte: Zehn Workshops in je zwei Runden. Fünf der Workshops wurden von der Diakonie selbst gestaltet. Hier ging es um konkrete Maßnahmen zu Themen wie Stress-Management, Einkauf oder die gelungene Integration neuer Teammitglieder. Alle Teilnehmenden konnten sich einen dieser Workshops aussuchen.

Was jede:r Teilnehmende besucht hat: einen Trafo-Workshop. Unser Ansatz war es, einen Raum für Austausch zu schaffen. Die Teilnehmenden wurden vorab so zugeteilt, dass Personen aus allen Kitas bunt durchmischt in den Workshops sitzen.

Die erste Hälfte des Workshops haben wir ausschließlich mit niedrigschwelligen Methoden wie einer klassischen Kennenlernrunde und einem Soziogramm gestaltet. Ziel war es, dass die Teilnehmenden erkennen: Ich bin nicht alleine.

Unsere Fragen:

  • Was macht meinen Arbeitsplatz nachhaltig?
  • Wer sollte für Nachhaltigkeit verantwortlich sein: Administration oder Angestellte?
  • Was brauche ich, damit ich mich aktiv mit dem Thema auseinandersetzen kann und will?

Was nach zehn Minuten Arbeit klingt, kann am Ende gerne mal einen halben Tag einnehmen. Denn oft offenbaren sich hierbei Meinungsunterschiede, die anzuerkennen und auszuhalten ein essenzieller Faktor ist – wie wir in unserer Arbeit immer wieder feststellen.

Das Wichtigste: Wahrgenommen werden

Schnell hat sich in den Runden gezeigt: Viele Angestellte möchten nachhaltiger Handeln, oft fehlen aber Zeit und Mittel. Und gleichzeitig unternehmen viele von ihnen bereits jede Menge – ohne bislang gewusst zu haben, dass ihre Bemühungen nachhaltig sind.

Eine Erkenntnis ist besonders hervorgetreten: Es fehlt an Austausch zwischen den Einrichtungen. Denn alle stehen vor ähnlichen Herausforderungen, für die manche bereits gute Lösungen gefunden haben, ohne dass es die anderen bemerken.

Kaum waren im Workshop die ersten Aha-Momente da, sind die Erfolgsgeschichten aus den Teilnehmenden nur so herausgesprudelt. Hier ist ein echtes Gefühl von gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung der eigenen Leistungen entstanden.

Dieses kreative Potenzial und Gefühl von Selbstwirksamkeit geweckt, war die zweite Hälfte des Workshops ein Selbstläufer: Arbeit in Kleingruppen mit dem Ziel, konkrete Ideen für mehr Nachhaltigkeit in den Kitas zu sammeln – bezogen auf die Mitarbeitenden, die Kinder oder die Eltern.

Nachhaltigkeit ist keine Eintagsfliege

Der Fachtag war ein voller Erfolg. Doch klar war auch: Im Arbeitsalltag geht all das – der Austausch, die Motivation, die Umsetzung von Ideen – schnell wieder unter, wenn es nicht konsequent weiterverfolgt und strukturell etabliert wird.

Darum hatten wir von Anfang betont, dass der Fachtag nur der Beginn eines Prozesses sein kann, an dessen Ende eine Nachhaltigkeitsstrategie steht, die permanent angepasst werden muss. Eine Maßnahme hierfür hatten wir bereits vorab vereinbart: fünf vertiefende Workshops. Die Themen hierfür haben die Teilnehmenden beim Fachtag selbst herauskristallisiert:

  1. „Nachhaltige Veränderung jetzt!“ – wie die Kita nachhaltige Veränderungen über die Einrichtung hinaus anstoßen kann
  2. „Gesundes Essen und Ernährung“
  3. „Eigene Projekte für den Alltag konzipieren und gestalten“
  4. „Exkursionen planen und angehen“
  5. „Eltern- und Ehrenamtsarbeit“

Wie diese Vertiefungsworkshops angekommen sind und was sie bewirkt haben, erzählen Anne und Peter, Angestellte von zwei Diakonie-Kitas:

Wir machen weiter

Nach den wertschätzenden Erfahrungen 2023 und 2024 haben wir auch den nächsten Fachtag mitgestaltet – diesmal zum Thema Vielfalt. Grundlage hierfür ist der Vielfalts-Check des Dachverbands Diakonie Deutschland, der alle diakonischen Einrichtungen dafür sensibilisieren soll, „sich kritisch und selbstreflexiv mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen“ auseinanderzusetzen. Die Kita-Abteilung der Diakonie Leipzig will hierbei eine Rolle als Vorreiterin einnehmen.

2025 werden wir hierzu wieder verschiedene Workshops anbieten, an denen sich durch Vorab-Befragungen alle Mitarbeitenden und Eltern beteiligen können:

  1. Gleichstellung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Wie können wir eine gleichberechtigte und familienfreundliche Arbeitsumgebung in Kitas schaffen?
  2. Herkunft und Rassismus-Erfahrung: Wie können wir Kinder und Familien mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen wertschätzen und Diskriminierung aktiv entgegenwirken?
  3. Beeinträchtigung, Behinderung und Barrierefreiheit: Wie können wir Inklusion in der Kita leben?
  4. Religion und Weltanschauung: Wie können wir in der Kita unterschiedliche Religionen und Weltanschauungen wertschätzend berücksichtigen?
  5. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt: Wie können wir frühkindliche Bildung so gestalten, dass sie die Vielfalt von Geschlechtern und Identitäten widerspiegelt?
  6. Alter und Generationengerechtigkeit: Wie können Kitas ein Ort sein, an dem Generationen voneinander lernen und ein wertschätzender Umgang mit Alter und Vielfalt gelebt wird?

Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit und sind gespannt auf die Ergebnisse.

Impression aus einem unserer Vertiefungsworkshops 2024